Kummer entsteht im Kopf

Hallo und herzlich willkommen zu der 11. Folge Deines Podcasts „wertschätzen und führen“. Ich freue mich, dass Du dabei bist. Die heutige Folge heißt „Kummer entsteht im Kopf“. Du wirst Lillemor begleiten, die als Führungskraft eingestellt wurde. Nach nur vier Wochen wollte sie ihren Job hinschmeißen, weil sie sich wie eine Assistentin behandelt fühlte. Wir werden damit den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Was das zu bedeuten hat? Lass Dich überraschen.

Der folgende Text ist die ungekürzte Transkription  der 11. Folge des Podcasts „wertschätzen und führen“. Der Beitrag ist lediglich zwecks besserer Lesbarkeit mit Überschriften versehen. Das PDF der Transkription steht in Kürze zum Download bereit. Die Folge steht unter anchor.fm/claudia-schulz sowie auf weiteren Plattformen wie spotify, apple und weiteren zu hören.

Ich bin Claudia Schulz, Inhaberin von Ereignis Coaching, Coach für Kommunikation und Autorin. Ich habe riesengroße Freude daran, Dir in diesen Zeiten mein Wissen zur Verfügung zu stellen, damit Du dazu beitragen kannst, Wertschätzung und gute Energie in Dein Team zu bringen. Das ist so dringend nötig. Wenn Du Dich selbst entwickeln möchtest, bist Du hier goldrichtig. Wenn es jedoch Dein Ziel ist, andere zu verändern, wirst Du hier kaum fündig werden.

Kummer entsteht im Kopf

Um dies zu illustrieren möchte ich von den Erfahrungen einer Kundin berichten. die ich hier Lillemor nenne. Wie bei anderen Geschichten auch, habe ich den Namen und das Umfeld variiert. Der Kern des Anliegens von Lillemor bleibt dabei unverändert. Lillemor hat sich an mich gewandt, weil sie überlegt hat zu kündigen. Dabei war sie zu diesem Zeitpunkt gerade einmal vier Wochen in dem neuen Unternehmen.

  • Claudia, „ich halte das nicht aus“, hat sie mir anvertraut
  • „Was ist denn geschehen?“, habe ich gefragt
  • „Da muss ich ein bisschen ausholen“ –
  • Nur zu.

Lillemor holt tief Luft und legt los:

Diese Stelle ist meine Traumstelle, zumindest dachte ich das bis jetzt. Ich bin als 3. Bereichsleiterin in das Unternehmen geholt worden. Mir wurde gesagt, dass ich mit den beiden anderen Kollegen gleichberechtigt, auf Augenhöhe arbeiten würde. Es gebe keine Hierarchie zwischen uns, wurde mir beim Einstellungsgespräch versichert. Aber dem ist mitnichten so. Es gibt eindeutig eine Nummer 1, das ist Karl, und eine Nummer 2, das ist Philip. Und Philip macht mir von der ersten Minute an das Leben schwer. Er behandelt mich als sei ich seine Assistentin. Das habe ich wirklich nicht nötig. Ich suche mir etwas anderes.“

Lillemor wirkte enttäuscht, aufgebracht, resigniert, wütend, empört – und das alles auf einmal.

Dann fuhr sie fort:

Und dabei hat dieser Philip nicht einmal einen Plan. Ich mache seine Arbeit noch mit, bald kann ich auch noch seine Fehler ausmerzen!

  • Ich habe sie gefragt: „Lillemor, Du sagst, es sein Dein Traumjob. Wenn Ihr gleichberechtigt arbeitetet, würdest Du dann im Unternehmen bleiben wollen?“
  • „Natürlich, war ihre Antwort, unbedingt. Aber ich kann doch nichts machen.“

 

„Ich kann doch nichts machen“ – wie oft höre ich diesen Satz. Er steht exemplarisch dafür, dass der Kummer im Kopf entsteht.

„Ich kann doch nichts machen“ ist eine Annahme, eine Bewertung. Der Einfachheit halber fasse ich Annahmen, Bewertungen, Verurteilungen etc. unter dem Begriff Interpretation zusammen.

Was verstehe ich unter Interpretation?

Unsere fünf Sinne, Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut, senden Impulse an das Gehirn. Das Gehirn verleiht diesen Impulsen Bedeutungen, und diese Bedeutungen, nenne ich Interpretation. Interpretation ist etwas, was in dem eigenen Kopf abläuft.

Der amerikanische Hirnforscher Gazzaniga – tatsächlich weiß ich nicht genau, wie er ausgesprochen wird, aber Du findest den Link in den Shownotes. Gazzaniga bezeichnet diesen Bereich, der die visuellen, auditiven, olfaktorischen, gustatorischen und haptischen Eindrücke verarbeitet, den „Interpreten“. Der Interpret schließt die Informationslücken, die sich aus den Sinneseindrücken ergeben. Reicht beispielsweise eine Person jemandem ein Glas mit einer dunklen Flüssigkeit, die mit Kohlensäure versetzt ist, so kann jene Person damit unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Wer bereits eine Magenschleimhautentzündung entwickelt hat, die wahrscheinlich auf übermäßigem Cola-Genuss zurückzuführen sein dürfte, wird vor einem solchen Glas vermutlich erschrocken zurückweichen.

Wer jedoch gerade Durchfall hat, wird erleichtert nach dem Glas greifen. Schließlich ist Cola, sofern von Salzstangen oder ähnlichem Salzgebäck begleitet, gegen Durchfall wirksam. Beide Personen, die mit einer Magenschleimhautentzündung und die mit Durchfall, reagieren auf ein und dasselbe Bild – beiden wird Glas gereicht, in dem sich mutmaßlich Coca-Cola befindet  – auf unterschiedliche Art und Weise. Der Interpret im Kopf signalisiert bei der einen Gefahr, bei der andere Linderung.

Dass unser Gehirn Lücken auffüllt, kennen wir von den Wahrnehmungsgesetzen, mit denen sich etwa Grafiker*innen vertraut machen. Es gibt das Gesetz der Geschlossenheit, auch Gesetz der Prägnanz genannt. Dieses Gesetz besagt, dass unser Gehirn dazu neige, Objekte oder Figuren als geschlossen wahrzunehmen. Auf der Website von Orange-Sinne findest Du zwei Illustrationen, die das verdeutlichen. Eine Illustration zeigt drei Linien von gleicher Länge, zwei davon sind parallel angeordnet, während die dritte im 90 Grad Winkel auf den beiden anderen Linien thront. Mit Blick auf diese drei Linien ergänzt unser Gehirn die vierte Linie. Wir sehen ein Quadrat, wo doch nur drei Linien zu finden sind. Eine vierte Linie gibt es nicht.

Wir sehen auch dann ein Quadrat, wenn seine Seiten nicht aus durchgängigen Linien, sondern aus Punkten und Strichen beschaffen sind.

Das Gehirn füllt – zumindest wenn wir wach sind – fortwährend auf, was nicht da ist.

Unsere Interpretation ist sozusagen die vierte Linie des Quadrats, ist die weiße Fläche zwischen den Punkten und Strichen des Quadrats. Die Interpretation ist in unserem Kopf.

Inwiefern ist diese Erkenntnis für Lillemor nützlich?

„Sie könne nichts machen“, sagte Lillemor.

Ich sage, das ist eine Interpretation. Ich sehe, dass Lillemor ihren Körper bewegen kann, ich höre, dass Lillemor Antworten auf meine Fragen gibt. Dem entnehme ich, dass Lillemor Gehörtes kognitiv verarbeiten und sowohl verbal als auch non-verbal darauf reagieren kann. Das sind schon einmal ziemlich gute Voraussetzungen um doch etwas machen zu können.

In den folgenden Wochen habe ich mit Lillemor parallel drei Ansätze verfolgt.

Den ersten Ansatz habe in der achten und neunten Folge dieses Podcasts beschrieben. Es geht darum, sich selbst und andere anzuerkennen. Für Lillemor war es eine enorme Herausforderung Philip mit der KAI-Formel anzuerkennen. Denn Philip war nach nur vier Wochen für sie einziges rotes Tuch. Sie hat sich von ihm so gedemütigt und herabgesetzt gefühlt. Damit sind wir bei dem zweiten Ansatz, den wir verfolgt haben.

Sich gedemütigt und herabgesetzt zu fühlen, ist einerseits eine Beobachtung, darauf werden wir in den beiden nächsten Folgen zurückkommen. Zugleich ist es eine Interpretation von Dingen, die Philip getan hat. Eine Interpretation kann zutreffend erscheinen. Das ändert jedoch nichts daran, dass es eine Interpretation ist, und eine Interpretation  – kann ich verändern. Daran hat Lillemor gearbeitet. Auch wenn ihre Verletzungen natürlich nicht einfach weggewischt waren, so konnte sie Philips Verhalten mehr und mehr als einen Ausdruck seiner eigenen Schmerzen betrachten, als Sorge vor Lillemors Kompetenzen.

Geht Dir jetzt durch den Sinn: typisch, welcher Mann erträgt schon eine starke Frau? Dann mag das durchaus auf den einen oder anderen Mann zutreffen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die meisten Männer keine starken Frauen ertragen, für die sie ein rotes Tuch sind. Es ist der innere Widerwille von Frauen gegen einen Mann, es ist die innere Kritik an einem Mann, und sei sie auch noch sei leise, darauf reagieren die meisten Männer hochsensibel. Viele unter ihnen gleiten dann in einen Kampfmodus, und dann wird es für viele Frauen ungemütlich. Viele Frauen wünschen sich ein Zusammensein, eine Zusammenarbeit in Harmonie. Für sie sind verbale Auseinandersetzungen häufig zermürbend. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Mehrzahl der Männer keine Probleme mit starken Frauen hat, die ihnen gegenüber eine wertschätzende innere Haltung haben. Ganz im Gegentiel. Ich habe große Untersützung von Männern erlebt, wenn Frauen in der wertschätzenden inneren Haltung sind.

Lillemor hat ihre Interpretation der Situation Stück für Stück umgepolt.

Der dritte Ansatz zielte darauf ab, Stärken von Philip zu finden, die Lillemors Schwächen ergänzten, und umgekehrt Stärken von Lillemor, die wiederum Philips Schwächen ergänzten. In Lillemors Team war es grundsätzlich möglich, Projekte und Aufgaben anders aufzuteilen als es ursprünglich angedacht war.

Was geschieht denn, wenn ein Mensch tut, was ihm liegt? Er feiert Erfolge, und solche Erfolge hat Lillemor Philip nach kurzer Zeit ermöglicht und sich selbst damit auch.

Es ging ganz schnell, dass sich Philip auf Lillemors Vorschläge eingelassen hat, so dass beide stärkenorientierter arbeiten konnten. Acht Wochen später vertraute Philip Lillemor an, wie sehr er sich freue, dass sie in das Team gefunden habe. Und wie froh er sei, dass sie sich als Leitung entpuppt habe und nicht als die Assistentin, die er in ihr sehen wollte.

Spannend, oder?

Ich habe mich riesig über diese Rückmeldung gefreut, und Lillemor konnte das zu diesem Zeitpunkt auch.

Fassen wir zusammen:

Kummer entsteht im Kopf – und auch die Freude entsteht im Kopf.

Unser Gehirn verleiht den Eindrücken, die unsere fünf Sinne an das Gehirn leiten, eine Bedeutung. Es interpretiert, es dichtet etwas hinzu, was der Außenwelt nicht ersichtlich ist. Interpretation zu erkennen, ist der zweite Schritt von Einfachem Feedback, das aus insgesamt drei Schritten besteht. Hier habe ich das Pferd, wenn nicht von hinten, so doch von der Mitte aufgezäumt – ach, ich liebe diese Pferdebilder. Menschen nehmen ihre Interpretationen wahr und halten sie für objektive Wahrheit, während die Beobachtungen, die den Interpretationen zugrunde liegen, untergehen. Daher sind die Interpretationen ein guter Startpunkt um in Einfaches Feedback einzusteigen. In der nächsten Folge geht es weiter.

Ich freue mich, wenn Du meinen Podcast abonnierst und beim nächsten Mal wieder dabei bist.

Eine gute Zeit wünsche ich.

Tschüs – bis zum nächsten Mal.

Quellenhinweis

Spiegel-Gespräch mit Michael Gazzaniga, „Wir sind nur Maschinen“, https://www.spiegel.de/wissenschaft/wir-sind-nur-maschinen-a-cc13b8c9-0002-0001-0000-000082995624

Gestz der Geschlossenheit, http://www.orange-sinne.de/wahrnehmungsgesetze.html

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