Gehen oder bleiben? Narzisstische Persönlichkeitsdimensionen

Arbeiten Menschen mit narzisstischen Tendenzen in einem Team, leiden oft die Anderen. Dabei gibt es Möglichkeiten, Mitarbeiter mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung zu erreichen. Es erfordert jedoch eine hohe Bereitschaft von allen Seiten sich aufeinander zuzubewegen.

Die Geschäftsführung eines kleineren Unternehmens in Hamburg konnte nach mehrmonatiger Suche endlich eine frei gewordene Stelle mit einem passenden Mitarbeiter besetzen. Die Entscheidung schien unter einem wahrhaft guten Stern zu stehen. Der besagte Mitarbeiter stürzte sich auf die neuen Herausforderungen, arbeitete sich zügig ein und brachte schnell Topergebnisse. Die Geschäftsführung war begeistert, doch die Klagen der Kolleginnen und Kollegen wurden immer lauter, bis die ersten Kündigungen drohten. In Interviews, die ich mit ausgewählten Mitarbeiterinnen  und Mitarbeitern durchgeführt habe, hat sich herausgestellt, was die anderen Team-Mitglieder umgetrieben hat. Die Kolleginnen und Kollegen schilderten, dass der besagte Mitarbeiter sie von oben herab behandele und zugleich enorm viel Aufmerksamkeit brauche, er sei unglaublich schnell gekränkt und verteidige sein Tun um jeden Preis, auch wenn offenkundig etwas schief gelaufen sei. Der fragliche Mitarbeiter selbst gab an, es sei alles in Ordnung. Nein, es gebe überhaupt keine Probleme. Alles sei gut, er sei zufrieden und fühle sich in dem Betrieb wohl. In solchen Fällen macht heutzutage schnell der Begriff „Narzisst“ die Runde.

Narzisstische Dimensionen und Störungen

Während die Medien in unserer Zeit schnell eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hinter bestimmten Verhaltensweisen vermuten, gemahnt  Dr. Stefan Röpke, Leiter des Bereichs Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung sowie der Autismusambulanz der Berliner Charité, zu klarer Unterscheidung. Narzissmus sei eine normale „Persönlichkeitsdimension“. Erst in einer gesteigerten Form sei von einer „Persönlichkeitsstörung“ zu sprechen. Die Grenze zwischen „normal“ und „klinisch“ sei fließend. In einem Vortrag am 6.3.2015 nannte er mehrere Kriterien, die nach heutigem Forschungsstand zutreffen müssten, um von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu sprechen:

  • Verhaltensmuster, das nicht vereinzelt aufrete, sondern durchgängig sei
  • Fantasien grenzenlosen beruflichen wie privaten Erfolgs
  • Anspruchsdenken
  • Ausbeuterisches Verhalten
  • Mangelnde Empathie
  • Neid auf Andere und Annahme, dass Andere auf einen selbst neidisch seien
  • Arrogantes Verhalten, massives Herabsetzen von Anderen, Kritik an Anderen
  • Verletzliches Selbstwertgefühl, schnelle Kränkung durch Kritik oder Niederlage
  • Schwankung zwischen euphorischer und depressiver Stimmung, bei Kränkung Gefühl von Wertlosigkeit und Leere
  • Scham-Wut-Spirale
  • Perfektionismus, hoher Antrieb zum Erfolg
  • Vermeiden von Niederlagen durch Vermeiden von Herausforderungen
  • Wenig Kontakte auf Augenhöhe
  • Wenig Bindung zu anderen Menschen
  • Schnell gelangweilt
  • Wohfühlen bei Bewunderung

Aus medizinischer Sicht, so Röpke, sei relevant, ob die betroffene Person selbst leide. Erst dann spreche man heute von klinischem Narzissmus. Für betroffene Kolleginnen und Kollegen spielt diese Unterscheidung jedoch eine untergeordnete Rolle. Sie leiden oftmals bereits unter einer narzisstischen Persönlichkeitsdimension.

Kognitive und emotionale Empathie

Der Umgang mit Menschen, die eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsdimension oder -störung haben, ist für andere vor allem deshalb schwierig, weil die betroffenen Menschen einerseits schwer zu erreichen und andererseits schnell verletzt sind. Sie teilen verbal teilweise heftig aus und können umgekehrt nahezu nichts einstecken.  Wie gehen Sie damit in Ihrem Unternehmen um?

Ich vergleiche narzisstische Tendenzen mit einer Rot-Grün-Schwäche. Sie können von jemandem, der diese Schwäche hat, enttäuscht sein, sie können ihn einschüchtern oder mit Konsequenzen drohen: Wenn dieser Mensch Rot oder Grün nicht erkennen kann, erreichen Sie nichts. Ähnlich verhält es sich mit Menschen, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) haben. Röpke hat darauf verwiesen, dass die Inselregion im Gehrin, die für emotionale Empathie zuständig sei, bei Menschen mit  NPS weniger Nervenzellen aufwiesen als bei Menschen, deren narzisstische Tendenzen im „Normbereich“ lägen. Jene haben in einer Studie kognitive Empathie gezeigt, d.h. sie konnten erkennen, wenn andere Menschen litten, aber keine emotionale Empathie, d.h. sie konnten mit anderen Menschen nicht mitfühlen. In ihrer eigenen Wahrnehmung verhielt es sich genau umgekehrt, so Röpke.

Was bedeutet das für ein Unternehmen?

Die zentrale Frage ist, ob die Geschäftsführung oder die Führungskräfte eines Unternehmens bereit sind, Zeit zu investieren und Knowhow einzukaufen, um das fragliche Team zu unterstützen. In einem zweiten Schritt gilt es, die Team-Mitglieder dafür zu gewinnen sich weiter zu entwickeln und sich jeweils auf den Anderen zuzubewegen, Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsdimension oder –störung eingeschlossen. Je mehr der oben aufgeführten Punkte auf eine Person zutreffen, umso höher wird der erforderliche Einsatz von allen sein. Aus unternehmerischer Sicht kann das insbesondere dann eine sinnvolle Entscheidung sein, wenn der fragliche Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin Qualifikationen mitbringen, die das Unternehmen braucht, etwa bei Engpässen von Fachkräften.

Wenn Mitarbeiter mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung zwar kognitive, nicht aber emotionale Empathie zeigen, können Sie diese Mitarbeiter auch nur über den Verstand erreichen. Sie werden nicht viel ausrichten, wenn Sie dessen Verständnis für andere Kolleginnen oder Kollegen erwarten. Wenn Sie aber diesen Mitarbeiter darauf ansprechen, wie er sich wohl fühlen würde, wenn er in der Situation seiner Kolleginnen oder Kollegen wäre, ist es möglich, einen Zugang zu der Person finden. Die Chancen stehen gut, dass dieser Weg funktioniert.

Auch wertschätzende Kommunikation trägt zu Erfolg bei, so dass Sie einen Mitarbeiter, der großes Potenzial hat, halten können, ohne dass Sie andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren.