Das Paradox der Mitsprache

Wie Mitsprache von Mitarbeiter*innen zum Gewinn wird

Worum geht es den Mitarbeitenden? Was wünschen sich Führungskräfte? Was können Führungskräfte tun, um Mitsprache in Gewinn für sich selbst, für die Mitarbeiter*innen und für das Unternehmen zu verwandeln. Darum geht es im ersten Artikel der Serie „Was Mitarbeiter*innen wollen, was Chef*innen tun können“.

Wenn es um das Thema Mitsprache in Betrieben geht, reagieren Führungskräften oftmals verhalten. Die Bedenken speisen sich teils aus der frustrierenden Erfahrung, dass von Mitarbeitenden zu selten lösungsorientierte Vorschläge kommen.  Teils befürchten Führungskräfte auch, dass die Vorstellungen von Mitsprache überzogen sein könnten und dass eine wachsende Schar von Mitarbeitenden weniger operativ als leitend tätig sein möchte. Notwendige Arbeiten könnten infolgedessen unerledigt bleiben.

Worum geht es den Mitarbeiter*innen?

Mitarbeiter*innen wollen gesehen und gehört werden (Lindemann & Heym). Sie wollen gebraucht werden und haben in der Regel sehr feine Antennen dafür, ob sie von ihren Chef*innen aufrichtig geschätzt werden oder nicht.  Sie nehmen unbewusst wahr, was Führungskräfte non-verbal  aussenden, und machen sich ihren Reim auf das Verhalten ihrer Vorgesetzten. Aus Sicht von Angestellten ist es beispielsweise nicht nachvollziehbar, dass sich die einen an eine Kleiderordnung halten müssen, während Vorgesetzte tolerieren, dass sie sich andere darüber hinwegsetzen. Sie verstehen nicht, warum die einen sich erlauben dürfen zu spät zu kommen, die anderen nicht. Das gilt auch für Weihnachtsgeld und ein 13. Monatsgehalt, das die einen bekommen, die anderen nicht. Mitarbeiter*innen, die auf diese Weise das Gefühl beschleicht, ihre Arbeit würde von ihren Vorgesetzten nicht gewertschätzt, setzen Arbeitsanweisungen langsamer und angestrengter um und lassen Arbeiten eher liegen. Sie sind eher geneigt, sich eine neue Arbeitsstelle zu suchen, insbesondere wenn der neue Arbeitgeber mit höherem Gehalt lockt.

Worum geht es den Chefs?

Vorgesetzte befinden sich in einer Gemengelage aus Unternehmenszielen, Bedürfnissen der Mitarbeitenden und den eigenen Bedürfnissen.

Sechs Figurgen stellen unterschiedliche Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen, Unternehmen und Führungskräften dar

Gemengelage der Bedürfnisse von Führungskräften

Wenn Angestellte hervorragende Arbeit leisten und sich um das Unternehmen verdient machen, entlasten sie ihre Chefs. Vorgesetzte erliegen dadurch leichter  der Versuchung, diesen Angestellten finanzielle Aufmerksamkeiten zukommen zu lassen oder ihre Regelverstöße hinzunehmen. Besonders in kleineren Teams birgt dies jedoch große Sprengkraft. Was den Unternehmenszielen zu dienen scheint, empfinden die Mitarbeitenden, die sich an die Anweisungen „von oben“ halten und bei Wertschätzungen oder Sonderleistungen dennoch leer ausgehen, als ungerecht.

Was können Vorgesetzte tun, um den unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden?

Eine Möglichkeit, die Gemengelage zu klären, liegt in der Mitsprache. Führungskräfte können dem Bedürfnis von Mitarbeitenden, gesehen und gehört zu werden, gerecht werden, indem sie ihnen Mitsprache einräumen. Das bedeutet nicht, zugespitzt formuliert, dass Mitarbeitende Unternehmensziele neu setzten oder Unternehmenskultur umdeuteten. Das obliegt Unternehmer*innen und zuweilen den Führungskräften. Mitarbeitende kennen sich jedoch in ihrem Arbeitsbereich aus. In ihnen steckt das Potenzial, um die Ziele zu erreichen, welche die Chefetage gesetzt hat. Wenn Mitarbeitende den Raum bekommen, um sich selbst zu verwirklichen und durch ihre Arbeit Selbstachtung und Anerkennung zu bekommen (Thomas Gordon), wachsen sie über sich hinaus.

Allerdings gibt es hier einen Haken.

So sehr Menschen gesehen, gehört und gebraucht werden wollen, so sehr fürchten sich hierzulande viele davor, Fehler zu machen. Jüngst sage mir wieder eine Kundin. „Niemals würde ich zu meinem Chef gehen und den Fehler einräumen. Ich würde alles tun, damit er das nicht erfährt.“ Das führt dazu, dass Mitarbeitende Probleme zu ihren Chefs tragen, um nichts falsch zu machen. Indem sie jedoch diesem einen Bedürfnis nachgeben, konterkarieren sie ihr Bedürfnis nach Mitsprache und Eigenverantwortung. Das bezeichne ich als das Paradox der Mitsprache. Chef*innen wiederum, die  effektiv und gewissenhaft arbeiten und denen ihre Angestellten obendrein am Herzen liegen, tendieren dazu, das Problem ihrer Mitarbeiter*in „eben schnell“ zu lösen. Doch indem sie ein Problem für Mitarbeitende lösen und dann noch eines und noch eines, werden sie zu einem Magneten für die unliebsamen Arbeiten ihrer Angestellten. Damit erschaffen sich Vorgesetzte ein noch viel größeres Problem. Bei ihnen steigt die Belastung und bei Mitarbeiter*innen steigt der Frust, weil sie Stück für Stück ihrer Eigenverantwortung und ihrer Mitsprache beraubt werden.

Wie Mitsprache zu einem Gewinn wird

Mitsprache von Mitarbeitenden wird zu einem Gewinn, wenn Chef*innen, den Ball, der ihnen zugespielt wird, so schnell wie möglich wieder zurückspielen. Du Kunst dabei ist, die Probleme der Angestellten sowohl ernst zu nehmen und anzuhören, als auch Mitarbeitende in die Verantwortung zu nehmen. Bittet beispielsweise ein Angestellter darum, dass die Vorgesetzte ihm einen Arbeitsvorgang abnehmen möge, weil er es nicht schaffe, ist es mittel- und langfristig kontraproduktiv, dieser Bitte nachzukommen. Dabei geht es auf keinen Fall darum, die Angestellte*n mit dem Problem allein zu lassen. Nachhaltig ist es, Mitarbeitende so zu führen, dass sie selbst Vorschläge unterbreiten, was sie tun könnten, sei es Prioritäten anders zu setzen oder workflow zu optimieren. Möglicherweise bedarf es eines Kompetenzaufbaus oder der kritischen Frage, ob die Stelle richtig besetzt ist. Das wiederum fällt in die Zuständigkeit der Vorgesetzten. (Fortsetzung folgt)

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